Bio-Zyniker gegen Tierrechte

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Bio-Zyniker gegen Tierrechte

Helmut F. Kaplan

Was ist eigentlich moralisch abstoßender: Wenn jemand mehr oder weniger gedankenlos im Supermarkt hübsch verpackte Leichenteile kauft oder wenn jemand ausdrücklich auf „Biofleisch“ besteht und dafür eine fast religiöse Begeisterung entwickelt („biologisch“, „natürlich“, „gesund“ usw.)? Zur letzteren Gruppe gehören bekanntlich insbesondere „fortschrittliche“, „alternative“ und „kritische“ Menschen.

Unter der Überschrift „Vom Schweineglück zu Tafelfreuden“ (Salzburger Nachrichten vom 22. 7. 2000) erfahren wir Näheres über die Motive dieser meist „sehr bewußt lebenden“ Fleischfreunde: „Den größten Einfluss auf die Kochkunst kann ich über das perfekte Produkt nehmen.“ Denn: „Ein Schwein schmeckt nun mal so, wie es gelebt hat.“ Und so kann es durchaus sein, daß man beim Genuß einer solcherart entstandenen Delikatesse gleich „eine zusätzliche Portion Lebenslust zu sich“ nimmt!

Die eminente Bedeutung des „Produkts“, sprich: des ermordeten Opfers, bestätigt auch Karl H. Wolf, Chef des „Gourmettempels Tanglberg“ („Das allerfeinste Fleisch“, Format, 17, 2000): „Ob Lamm, Kalb, Kitz, Ferkel – wenn die Tiere wirklich nur reine Muttermilch bekommen, werden sie zu einer großen Delikatesse.“

Zurück zu den lebenslustigen Schweinen. Der „Kochkünstler“, dem die wundersame Verwandlung von Schweineglück in Tafelfreuden gelingt, heißt Carlo Wolf. Obwohl „philosophierender Schöngeist“, bleibt er dennoch Realist: „Sein Motiv, ein Tierparadies zu schaffen, (entspringt) nicht etwa dem mitleidigen Herzen, sondern der unwiderstehlichen Leidenschaft, fantastisch zu kochen, zu essen und zu bewirten.“

Soweit also ein paar Informationen über die elitäre Gruppe „biologisch“ („bios“ = „Leben“!) orientierter Tiermörder. Mir persönlich waren diese selbsternannten „Schöngeister“ und „Naturfreunde“ immer weitaus unsympathischer als die 08/15-Fleischesser.

Allerdings scheint diese Bewertung, wenigstens auf den ersten Blick, nicht ganz unproblematisch zu sein. Denn im Hinblick auf die Auswirkung ihres Verhaltens auf die Tiere müßten einem eigentlich die „normalen“ Fleischesser unsympathischer sein, weil sie den Tieren zweifellos viel mehr Leiden zufügen: Ein Tier, das sein ganzes Leben in der Intensivhaltung verbringt, hat ein unterm Strich wohl ein schrecklicheres Schicksal als eines, das „biologisch“ aufgezogen wird.

Hier gilt es, zwei Dinge zu unterscheiden: das Motiv für eine Handlung und die Konsequenzen einer Handlung. Schlechte Motive haben nicht unbedingt schlechte Konsequenzen, und gute Motive haben nicht unbedingt gute Konsequenzen. So mag etwa jemand einem anderen Menschen großen Schaden zufügen wollen, ihn dabei aber in eine Krise stürzen, aus der dieser letztlich viel stärker und glücklicher hervorgeht, als er dies ansonsten je geworden wäre. Und andererseits mag jemand seine Kinder nach bestem Wissen und Gewissen aufziehen, dabei aber Erziehungskonzepte anwenden, die de facto verheerende Folgen haben.

Deshalb ist es auch keineswegs automatisch ein Widerspruch, jemanden für eine – gemessen an den Konsequenzen – bessere Handlung (Verzehr „biologischen“ Fleisches) moralisch mehr zu verurteilen als einen anderen für eine – gemessen an den Konsequenzen – schlechtere Handlung (Verzehr „normalen“ Fleisches). Und ebensowenig ist es ein Widerspruch, Praktiken mit weniger negativen Konsequenzen („biologische“ Tierzucht) als das momentan geringere Übel zu befürworten, weil sie das geringere Übel sind, und gleichzeitig diejenigen moralisch zu verurteilen, die eben diese Praktiken aus ganz anderen, egoistischen Motiven befürworten.

Natürlich sind, solange Menschen Fleisch essen, „Bio“-Betriebe den Massentierhaltungen im Interesse der Tiere vorzuziehen. Das ändert aber nichts daran, daß auch diese Betriebe verboten werden müssen und daß das Motiv derer, die „Biofleisch“ wollen, übelster Natur ist: kurzer Gaumenkitzel auf Kosten des Lebens und Leidens Unschuldiger!

Exakt dieser, an menschlicher Widerwärtigkeit und moralischer Abgründigkeit kaum mehr zu überbietende Zynismus – Gaumenkitzel gegen Leben – ist es, den die „Bio“-Befürworter nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern geradezu  zelebrieren. Im Vergleich dazu sind die „normalen“ Fleischesser, die auf intellektueller Sparflamme geistig vor sich hinvegetieren, moralisch sympathische Hohlköpfe.

Das wirklich Gefährliche an den „Bio“-Freunden ist aber dies: Sie sind es, die gesellschaftliche Tendenzen zur Akzeptierung von Tierrechten im Keim ersticken. Sie sind es, die heuchlerische Scheinargumente („Recht des Stärkeren“) und pseudowissenschaftliche Wortschöpfungen („Kreislaufdenken“) in die Diskussion werfen, die dann von der Mehrheit stumpfer Fleischesser dankbar aufgeschnappt und hirnlos nachgeplappert werden.