Macht Fleischessen dumm?
Helmut F. Kaplan
Ich erinnere mich an eine Diskussionssendung vor vielen Jahren, in der ein Teilnehmer die pfiffige These vertrat: „Fleischessen macht dumm!“ Nun wird das auf physiologischer Ebene wohl nicht zutreffen, das heißt, das Verzehren von Fleisch wird kaum das Gehirn schädigen. Wie auch umgekehrt nicht zutrifft, daß der Verzicht auf Fleisch klug macht – was die vielen verrückten Veganer beweisen.
Auf psychologischer Ebene könnte an der These, daß Fleischessen eine verdummende Wirkung hat, allerdings sehr wohl etwas dran sein. Bekanntlich hat niemand geringerer als Sigmund Freud auf die verdummende Wirkung irrationaler religiöser Dogmen hingewiesen. In „Die Zukunft einer Illusion“ (Abschnitt IX) schreibt er:
„Denken Sie an den betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen. Wäre es so ganz unmöglich, daß gerade die religiöse Erziehung ein großes Teil Schuld an dieser relativen Verkümmerung trägt? ( … ) Wer sich einmal dazu gebracht hat, alle die Absurditäten, die die religiösen Lehren ihm zutragen, ohne Kritik hinzunehmen und selbst die Widersprüche zwischen ihnen zu übersehen, dessen Denkschwäche braucht uns nicht arg zu verwundern.“
Der Unsinn, der von seiten der Fleischindustrie und fleischessenden Bevölkerung in bezug auf Fleisch verbreitet wird, steht irrationalen religiösen Lehren an Absurdität in nichts nach. Man denke etwa an den Slogan „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ oder an die Behauptung, ohne Fleisch könne die Weltbevölkerung nicht ernährt werden.
Blühender Unsinn
Im Hinblick auf seine Abwegigkeit belustigend ist auch das allseits akzeptierte Dogma, daß, wenn die Tierleichen anschließend nur gegessen würden, jegliche Tiertötung damit gerechtfertig sei. Dieser Unsinn gehört vor allem zu den Standardweisheiten von Jägern und Anglern.
Kannibalen können aus unerfindlichen Gründen hieraus allerdings keinen Nutzen ziehen. Die werden mit dem wenig phantasievollen Hinweis abgespeist, daß das Essen von Tieren im Unterschied zum Essen von Menschen eben „normal“ sei. Beweis: Das war „schon immer“ so. Daß wir auch „schon immer“ unsere Mitmenschen erschlagen und vergewaltigt haben, zählt dann aber wieder nicht als Grund, dies auch heute zuzulassen. Wie man sieht: Verdrehte, verrückte Welt, wohin man blickt!
Im folgenden ein paar weitere Beispiele, die die These stützen, daß die Fleischessen-ist-ganz-normal-Weltanschauung einem klaren Kopf nicht eben förderlich ist:
Freßsack Siebeck
Im Jänner 2006 unterhält sich Gero von Böhm mit Freßsack Wolfram Siebeck auf 3sat. Siebeck berichtet liebevoll und bewundernd von seiner Katze: wie intelligent sie sei und daß er sich mit ihr über vielerlei unterhalte. Es handelt sich offenkundig um ein sehr inniges Verhältnis. Unmittelbar darauf kommt man auf Hunde zu sprechen. Von Böhm fragt Siebeck, ob er schon einmal einen Hund gegessen habe. Cool und sachlich erkundigt er sich, wie Profikoch Siebeck einen Hunde zubereiten würde – konkret: einen Pudel. Ohne zu zögern, antwortet Siebeck sehr präzise: zuerst in Stücke schneiden usw.
Wer bitte, ist verrückt, wenn nicht jemand, der gleichzeitig Katzen liebt und Hunde zerschneidet – und darin offenkundig keinerlei Widerspruch sieht! Solcherart vorgewarnt und eingestimmt, werden wir uns auch nicht mehr über Siebecks Emotionen und Assoziationen beim Verzehr von Kalbs- und Schweinshaxen wundern. Zuerst zur Kalbshaxe („ein Wadenstück vom Kalb“):
„Das Wasser lief mir im Mund zusammen, so appetitlich sah das aus, was der Kellner auf einer Platte heranschleppte: Ein mächtiger Brocken Fleisch, braun gebraten in allen Schattierungen von gold bis dunkelrot, herrlich glänzend … mit einem herausragenden, sauberen Knochen – im wahrsten Sinne des Wortes ein Augenschmaus.“
Gleiches Gericht, andere Gaststätte:
„Und als ich schließlich ein taubeneigroßes Fleischstück vom Knochen säbelte, das so war, wie ich mir Fleisch von einem Rinderbaby vorstelle, nämlich rosig, saftig und wunderbar zart, da tranken wir aus Freude und Dankbarkeit ein zweites Glas Bier.“
Beim nächsten geplanten Kalbshaxen-Essen machte ausgerechnet der „Haxnbauer“ einen Strich durch die Rechnung: Er hatte gerade keine Kalbshaxen vorrätig. „Da bestellte ich eine Schweinshaxe.“ Durch die folgende Beschreibung des Gerichts sollte sich der Leser nicht verunsichern lassen, denn, um es vorwegzunehmen, Siebeck hat die Schweinshaxe ganz vorzüglich geschmeckt:
„So eine Schweinshaxe sieht furchtbar aus. Die fettige Haut hat unter dem Grill unzählige Blasen geworfen, die aufgeplatzt und kroß geworden sind. Die Farbe ist nicht das ruhige Rembrandtbraun von gebratenem Fleisch, sondern ein ungewohntes, fast ins Orange übergehendes Rostrot. Das Ganze sieht aus wie ein beim Waldbrand umgekommenes Krokodil (Teilansicht).“
Bedauernswert primitiv
Aufschlußreich auch Siebecks Bemerkungen über die Bemühungen holländischer und amerikanischer Wissenschaftler, künstlich Fleisch herzustellen:
„Ein Steak, ohne dass dafür ein Tier getötet wurde, ja, das könnte vielen Menschen gefallen“, erkennt Siebeck richtig. Allerdings, holt er uns gleich auf den Boden nüchterner Realität zurück, ginge es „bei dieser wissenschaftlichen Errungenschaft gar nicht um unsere Tierliebe, nicht um das kleine Lämmchen oder das niedliche Kaninchen …. Denn Zicklein, Kaninchen und was sonst alles so traurige Augen hat, würden erst recht umgebracht, nämlich planlos ausgerottet. Wozu wären sie noch gut, wenn wir den Sonntagsbraten aus der Retorte beziehen könnten?“
Aufschlußreich, wie gesagt: Erstens macht sich Freßpapst Siebeck über die traurigen Augen seiner Opfer auch noch lustig, was schon ein starkes Stück ist: Er empfindet nicht nur keinerlei Mitleid mit diesen Wesen, die leiden und sterben müssen, weil er seine Freßsucht nicht bändigen kann – er muß sie auch noch verhöhnen! Zweitens kann sich Siebeck offenkundig eine andere Beziehung zu Tieren, als sie umzubringen und aufzuessen, überhaupt nicht vorstellen. Und drittens kapiert er überhaupt nicht, daß für diese Tiere selbst das Nicht-geboren-Werden viel besser wäre als ihr jetziges Schicksal!
In der irrigen Annahme, besonders originell zu sein, entwirft Siebeck nun folgendes Szenario:
„Die Wissenschaft zeigt uns den Ausweg aus der Sackgasse, an dessen Ende der Nobelpreis auf sie wartet und auf uns das Leben als Vegetarier. Das Paradies auf Erden ist erreicht, die Menschen … könnten glücklich sein. Wären da nicht die Fleischsüchtigen. Sie horten noch ein paar echte Ziegen und Lämmer unter ihren Betten, Hühner im Kleiderschrank, und in manchen Garagen steht neben dem abgasfreien Diesel ein stinkendes Schwein. Sie können es nicht lassen, ihr Organismus, seit Millionen Jahren an Fleisch gewohnt, kann nicht darauf verzichten. Sie wollen Knochen abnagen, Würste zuzeln und Schweinebraten kauen. Sie schlachten hinter zugezogenen Vorhängen, sie feiern Orgien der Fleischeslust. Ein Schwarzmarkt für die benötigten Tiere entsteht, polnische Fleischhauer ziehen von Tür zu Tür und bieten ihre Dienste an.“
Hier haben wir es mit einer geradezu erschütternd primitiven negativen, rückwärtsgewandten Utopie zu tun. Siebeck sehnt sich nicht nach einer Zukunft, in der es friedlicher und gerechter auf der Welt zugeht. Ihm steht der Sinn vielmehr nach einer Reise in die Vergangenheit, wo uneingeschränkter Egoismus und das „Recht des Stärkeren“ regieren und alle Errungenschaften im Tierschutz außer Kraft sind („schlachten hinter zugezogenen Vorhängen“; „polnische Fleischhauer“).
Primitiv im schlechtesten Sinne des Wortes ist dieses Szenario, weil es das Hirngespinst eines Menschen darstellt, dem jegliche Sensibilität für moralische Zusammenhänge und Ziele fehlt und dessen Denken einzig und allein darum kreist, durch seinen ansonsten zu nichts zu gebrauchenden Kopf möglichst viele Leichen in den Magen zu schleusen – egal, wie viele Wesen dafür leiden und sterben müssen. Hauptsache: Es schmeckt!
(Siebeck-Zitate: 60 Jahre DIE ZEIT, 2006, S. 60 f.; Die Zeit, 8, 2006, S. 66)