Der Lack ist ab
Helmut F. Kaplan
Man muß sich das wirklich einmal anschaulich vorstellen und vergegenwärtigen: Da sitzen Menschen im Restaurant, reden, scherzen, lachen, um dann kurz ihre Unterhaltung zu unterbrechen und einen Fisch zu bestellen – wissend, daß nur wenige Augenblicke später allein für sie ein Tier getötet werden wird! Und dann stochern sie mit Messer und Gabel in einem toten Körper, der noch vor ein paar Minuten gelebt hat, herum, zerlegen ihn – und lachen und unterhalten sich weiter.
Wohlgemerkt: Hier handelt es sich um keine Angehörige „indigener Völker“, die gerade in der Wildnis unter Lebensgefahr ihre tägliche Überlebensration erjagt haben. Hier handelt es sich um „zivilisierte“ Menschen, die modisch gekleidet am schön gedeckten Tisch sitzen und Handy und Autoschlüssel allzeit griffbereit haben. Sie hätten auch etwas anderes bestellen können. Niemand hat sie gezwungen, Leichen zu ordern und damit einen Mordauftrag zu erteilen. Aber es war ihnen halt gerade danach.
Es heißt oft: Der Zivilisationslack ist sehr dünn. An manchen Stellen ist er nicht dünn, sondern gar nicht vorhanden. Und das sind vor allem jene Bereiche, in denen es um unseren Umgang mit Tieren geht. Hier kann man die wahre, ungeschminkte Beschaffenheit der menschlichen Seele studieren – die sich, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, etwa im Krieg, auch gegenüber Menschen manifestiert.