Färbt Grausamkeit gegenüber Tieren auf den Umgang mit Menschen ab?
Helmut F. Kaplan
Eine der „interessantesten“ – man scheut sich, dieses Wort in diesem Zusammenhang zu gebrauchen – Fragen im Bereich der Mensch-Tier-Beziehung lautet: Färbt Grausamkeit gegenüber Tieren auf den Umgang mit Menschen ab? Die Behauptung, daß dies der Fall sei, ist das de facto wichtigste Argument der Tierschützer und ein sehr willkommenes Argument für Tierrechtler.
Am einen Pol dieser Diskussion steht die Prophezeiung Leo Tolstois, wonach es so lange Schlachtfelder geben werde, als es Schlachthäuser gibt. Am anderen Pol anzusiedeln ist die Beobachtung, daß es offenkundig auch Menschen gibt, die zwar Tiere quälen und umbringen, im Umgang mit ihren Mitmenschen aber „völlig normal“ sind – etwa Ärzte, die gleichzeitig Jäger sind, aber einen mitfühlenden Umgang mit Patienten pflegen, oder Tierexperimentatoren, die ihre Kinder und Haustiere liebevoll behandeln.
Nun gibt es auf die Frage nach den Auswirkungen unseres Umgangs mit Tieren auf unseren Umgang mit Menschen gewiß weder in die eine noch in die andere Richtung eine einfache und eindeutige Antwort. Es hängt offenkundig von vielen Faktoren ab, ob sich Grausamkeiten gegenüber Tieren auch negativ auf den Umgang mit Menschen auswirken oder ob dies, zumindest auf der Ebene beobachtbaren Verhaltens, kaum oder nicht der Fall ist.
Diese Zusammenhänge bedürfen einer sorgfältigen Prüfung, weshalb es absolut unseriös wäre, hier „am grünen Tisch“ Antworten und Patentlösungen zu verkünden. Aber auf zwei Aspekte, die in diesem Zusammenhang gewiß eine Rolle spielen, soll hier dennoch hingewiesen werden:
Erziehungskonzepte und Einstellungen nach dem Motto „Der Mensch ist etwas ganz Besonderes und Einmaliges“, „Tiere wurden für den Menschen geschaffen“ usw. sind sehr wirksam und könnten erklären, warum Grausamkeiten gegenüber Tieren in vielen Fällen nicht auf den Umgang mit Menschen abfärben.
Faktisch und sachlich handelt es sich beim Quälen oder Töten von Tieren und Menschen um den prinzipiell gleichen Vorgang, weil die evolutionäre Kontinuität und damit unsere Verwandtschaft mit den Tieren unleugbare und unübersehbare Tatsachen sind. Beispielsweise macht es „technisch“ gesehen wenig Unterschied, ob ich einem Tier oder einem Menschen die Haut abziehe. So ist es denn auch wenig verwunderlich, daß einem bekannten Serienmörder (ich glaube, es war Jürgen Bartsch) das anatomische Wissen, das er in der Fleischerlehre erworben hatte, bei der Zerlegung seiner menschlichen Opfer sehr „zugute“ kam.
Dieses Ergebnis – daß die erwähnten beiden Aspekte in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen -, ist gewiß nicht spektakulär, liefert aber immerhin einen Fingerzeig, in welche Richtung künftige Forschungen gehen könnten. Eines kann jeder freilich gleich bei sich selber erforschen: Würde er sein Leben lieber einem Arzt anvertrauen, der als Steckenpferd Tiere erschießt, oder einem, der in seiner Freizeit Rosen züchtet?