Gleicheitsprinzip und Tierrechte
Das basalste Recht ist das Recht auf gleiche Interessenberücksichtigung
Helmut F. Kaplan
Die Geltung des auf Aristoteles zurückgehenden moralischen Gleichheitsprinzips – Gleiches bzw. Ähnliches muß auch gleich bzw. ähnlich behandelt werden – ist für die meisten von uns so selbstverständlich, daß wir es gar nicht als eigenes Prinzip wahrnehmen. Aber ohne dieses Gleichheitsprinzip verlöre alle Ethik ihre Grundlage, Glaubwürdigkeit und Anwendbarkeit.
Nun behauptet kein vernünftiger Mensch, daß Menschen und Tiere in einem faktischen Sinne gleich wären. Jedem ist klar, daß Menschen und Tiere – wie auch die Menschen untereinander! – zum Beispiel unterschiedliche Interessen haben. Deshalb wäre es auch völlig verfehlt, Menschen und Tiere gleich zu BEHANDELN, denn unterschiedliche Interessen erfordern und rechtfertigen eben eine UNTERSCHIEDLICHE Behandlung. So brauchen etwa Hunde und Katzen im Unterschied zu Menschen keine Religionsfreiheit und kein Wahlrecht – weil sie damit schlicht nichts anfangen könnten. Und Männer brauchen im Unterschied zu Frauen keinen Schwangerschaftsurlaub – weil sie nicht schwanger werden können.
Was das Gleichheitsprinzip fordert, ist schlicht dies: WO Menschen und Tiere ähnliche Interessen haben, da sollen wir diese ähnlichen Interessen auch GLEICH BERÜCKSICHTIGEN, moralisch gleich ernst nehmen:
- Weil alle Menschen ein Interesse an angemessener Nahrung und Unterkunft haben, sollen wir dieses Interesse auch bei allen Menschen gleich berücksichtigen – und dürfen nicht willkürliche Diskriminierungen aufgrund von Rasse oder Geschlecht vornehmen. Also kein RASSISMUS und SEXISMUS.
- Und weil sowohl Menschen als auch Tiere ein immenses Interesse haben, nicht zu leiden, sollen wir dieses Interesse bei Menschen und Tieren auch gleich berücksichtigen – und dürfen nicht willkürliche Diskriminierungen aufgrund der Spezies vornehmen. Also kein SPEZIESISMUS.
Gleiche Interessen sollen gleich zählen. Das basalste Recht ist das Recht auf gleiche Interessenberücksichtigung. Gleiche Interessen weniger zu berücksichtigen, verstößt gegen das Gleichheitsprinzip. Wer sagt „Dein Leiden ist weniger wichtig, weil du schwarz bist“, ist Rassist. Wer sagt „Dein Leiden ist weniger wichtig, weil du eine Frau bist“, ist Sexist. Und wer sagt „Dein Leiden ist weniger wichtig, weil du ein Tier bist“, ist Speziesist.
Mit ihrer Forderung, auch gleiche bzw. ähnliche tierliche Interessen gleich zu berücksichtigen, ist die Tierrechtsbewegung also die konsequente und notwendige Fortsetzung anderer Befreiungsbewegungen wie der Befreiung der Sklaven, der (amerikanischen) Bürgerrechtsbewegung und der Frauenemanzipation: Immer geht es darum, moralische Diskriminierungen aufgrund moralisch belangloser Merkmale wie Hautfarbe, Geschlecht und Spezies zu erkennen und zu überwinden.
Gleiches Leiden ist gleich wichtig. Zu sagen „Dein Leiden ist weniger wichtig, weil du ein Tier bist“, ist pure Willkür, reiner Speziesismus. Aber exakt entsprechend diesem „Dein Leiden ist weniger wichtig, weil du ein Tier bist“ behandeln wir Tiere! Allgemein und speziell jene Tiere, die wir essen wollen: Keinem Menschen würden wir auch nur ansatzweise jenes Leiden zumuten, das wir Tieren bedenkenlos und ununterbrochen zumuten.
Geradezu kriminell wird es, wenn wir uns vergegenwärtigen, WOFÜR wir Tieren dieses Leiden zufügen! Wir fügen Tieren lebenslanges, schwerstes Leiden zu für einen kurzen Gaumenkitzel. Beim Fleischessen werden ALLE tierlichen Interessen einem EINZIGEN menschlichen Interesse geopfert.
Hinweis: Das Gleichheitsprinzip, wie es hier dargestellt und angewandt wird, geht auf Peter Singer zurück. Im Unterschied zu Singer halte ich die Verknüpfung des Gleichheitsprinzips mit dem Utilitarismus für unsinnig. HFK