Strategische Tierrechtsarbeit
Helmut F. Kaplan
Mißstände beim Namen zu nennen, gehört gewiß zu den Voraussetzungen dafür, sie zu beseitigen. Allerdings stößt diese naheliegende Vorgangsweise manchmal rasch an ihre Grenzen. Etwa dann, wenn sie einen vor Gericht oder ins Gefängnis zu bringen droht. Dies ist im Zusammenhang mit den Verbrechen, die tagtäglich an Tieren begangen werden, zweifellos der Fall: Wer es wagt, die involvierten Personen und Praktiken beim Namen zu nennen, läuft Gefahr, vorzeitig und unverrichteter Dinge aus dem Verkehr gezogen zu werden.
Szenenwechsel: Ich erinnere mich, vor langer Zeit, vielleicht in der Schule, von folgendem Kenntnis erhalten zu haben (inwiefern mich meine Erinnerung im Hinblick auf technische Details trügt, ist für meine strategische Schlußfolgerung irrelevant): Um ungewollte Detonationen beim Lagern oder Transportieren von Bomben und anderen explosiven Gegenständen oder Stoffen zu vermeiden, werden die einzelnen brisanten Komponenten, die für sich ungefährlich sind, getrennt gelagert und transportiert. Erst kurz vor der beabsichtigten Zündung werden sie zusammengefügt.
Das könnte auch ein strategisches Vorbild für die Tierrechtsarbeit sein! Nachdem sich die Verknüpfung der Beschreibung der Verbrechen an Tieren mit ihrer angemessenen Benennung als immer gefährlicher erweist, könnte man wie folgt verfahren: Man beschreibt die grauenhaften Verbrechen an Tieren realistisch, aber „wertfrei“, zum Beispiel, wie es im Schlachthaus und Versuchslabor zugeht, und überläßt die Benennung dieser Vorgänge dann den Adressaten!
Richtig: Da fehlt noch das zweite brisante Element! Zur Beschreibung der Verbrechen an Tieren muß noch hinzukommen: die Darlegung der Leidensfähigkeit und des Leidens der Tiere sowie die Darstellung der moralischen Werte und ethischen Argumente, die unseren Umgang mit Tieren zu moralischen Verbrechen machen.
Jetzt können wir die Verknüpfung beider Elemente bzw. die Schlußfolgerung daraus aber getrost den Adressaten überlassen. Diese werden, wenn wir gute Vorarbeit geleistet haben, den Umgang mit Tieren nun so bewerten und benennen, wie es den objektiven Fakten und den akzeptierten Werten entspricht: Was hier mit Tieren geschieht, ist ein gräßliches Verbrechen.
Diese Strategie erweist einmal mehr die absolute Unverzichtbarkeit der Tierrechtsphilosophie. Denn die Darstellung der Leidensfähigkeit und des Leidens der Tiere, ihrer Intelligenz, ihrer Sensibilität, ihres Sozial- und Gefühlslebens sowie die Bewußtmachung der moralischen Grundsätze, zu denen wir uns bekennen – all dies gehört zu den ureigensten Aufgaben und Themen der Tierrechtsphilosophie!