Das Recht des Stärkeren
Helmut F. Kaplan
Wenn jemand einen Kleineren oder Schwächeren fertigmacht, dann halten wir das zu Recht für mies und fies. Und zwar umso mehr, je ausgeprägter der Größen- oder Kräfteunterschied ist. Dies hängt damit zusammen, daß wir das sogenannte „Recht des Stärkeren“, wenigstens im Umgang mit Menschen, in Wirklichkeit für genau das Gegenteil von Recht halten, nämlich für Unrecht. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß sich Moral unschwer beschreiben und begreifen läßt als Summe der Anstrengungen und Vorkehrungen gegen das „Recht des Stärkeren“.
Vor diesem Hintergrund erweist sich gerade jener Umgang mit Tieren, den wir üblicherweise als den „harmlosesten“ betrachten, als ganz besonders schändlich: unser Umgang mit Insekten. Da schlagen wir wahl- und ziellos auf Lebewesen ein, die uns an Kraft und Größe buchstäblich hoffnungslos unterlegen sind. Und zwar in der Regel ohne auch nur den Hauch eines „vernünftigen Grundes“, geschweige denn eines Angriffs, der diesen Namen verdient. Hier offenbart sich das Wesen des Menschen wie im Brennspiegel: rücksichtslos, gedankenlos, maßlos und grausam.