Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar (Ingeborg Bachmann)
Helmut F. Kaplan
Beim Betrachten von Bilderserien mit Überschriften wie „Mein schönstes Urlaubsfoto“ und dergleichen fiel mir zweierlei auf: Erstens, daß es sich hierbei erstaunlich oft um Anglerfotos handelt, zweitens, daß die Textzeilen dieser Anglerfotos oft besonders unpassend sind: „Die Seele baumeln lassen“, „Friedlicher Tagesausklang“ usw. Dabei kam mir ein ähnliches Phänomen, das mir bereits früher aufgefallen war, in den Sinn: Überraschend viele „besinnliche“ Bücher (über den richtigen Umgang mit der Zeit, den Sinn des Lebens usw.) haben am Cover ein Anglerfoto.
Damit sind wir bei einem neben Gleichgültigkeit und Egoismus weiteren wichtigen, aber oft vernachlässigten ursächlichen Faktor der Tierausbeutung: bei der Dummheit. Die Menschen scheinen nicht zu begreifen, was hier abgebildet wird: die grausame Ermordung hilfloser Wesen – zum Spaß oder aus Langeweile oder „zur Besinnung“ bzw. das geduldige oder „entspannende“ Warten auf ein unschuldiges Opfer, das in die hinterhältige Falle tappt. Wobei „Dummheit“ präzisiert werden muß, um der Sache gerecht zu werden. Es handelt sich hier wohl weniger um die tatsächliche Unfähigkeit, einen eigentlich offensichtlichen Zusammenhang zu begreifen, als vielmehr um ein Nicht-begreifen-Wollen, um ein Nicht-wissen-Wollen.
Wie auch immer – der Bewußtheitsgrad in bezug auf diesen Tiermißbrauch ist wohl tatsächlich geringer als etwa der in bezug auf das Geschehen im Schlachthof. Kein Mensch käme auf die Idee, eine Schlachthofszene mit der Bildunterschrift „Friedlicher Tagesausklang“ zu versehen. Was in Schlachthöfen passiert, wissen die Menschen sehr genau, und daß es FÜR SIE passiert, damit sie Fleisch essen können, wissen sie ebenfalls ganz genau. Aber es ist den meisten offensichtlich egal. Einige ziehen freilich aus ihrem Wissen die moralischen Konsequenzen und hören auf, sich weiter an diesem Verbrechen zu beteiligen.
Zurück zum Angeln. Wie auch immer „reduziert“ das Bewußtsein in bezug auf diesen Tiermißbrauch sein mag – daß es sich hier um einen Tötungsvorgang handelt, kann wohl niemandem verborgen bleiben. So wenig es jemandem verborgen bleiben kann, daß es sich beim Stierkampf um einen Tötungsvorgang handelt. In beiden Fällen ist viel Nicht-wissen-Wollen im Spiel. Wenn etwa den Menschen weisgemacht werden soll – und dies nur allzugerne geglaubt wird -, daß es sich beim Stierkampf gar nicht um einen Kampf handle (was insofern richtig ist, als es sich um eine Hinrichtung handelt), sondern um ein Kunstwerk, um ein Schauspiel über Leben und Tod, bei dem der Stier quasi die Regie führe.
Erfreulicherweise gibt es gegen alle Formen und Grade des Nicht-Wissens und Nicht-wissen-Wollens ein Gegenmittel: Information. Je häufiger, hartnäckiger und massiver, desto besser! Erfolgreiche Vorbilder sind etwa die Informationskampagnen in bezug auf die Sinnhaftigkeit des Sicherheitsgurtes, die Schädlichkeit des Rauchens und die Veränderung des Klimas.
Im Hinblick auf unseren Umgang mit Tieren bedeutet maximale Beseitigung des Nicht-Wissens und damit maximale Verringerung erfolgreichen Nicht-wissen-Wollens natürlich noch nicht die Lösung – siehe oben (das Wissen um die Schlachthausrealität führt nur bei einigen Menschen zur Verhaltensänderung). Aber Wissensvermittlung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vor allem ist Wissensvermittlung ein MÖGLICHER Schritt in die richtige Richtung.
Und genau darum geht es: daß wir alles uns Mögliche tun, um das Schicksal der Tiere zu verbessern. Also sagen wir jedem bei jeder Gelegenheit laut und deutlich die Wahrheit: Wenn du tierliche Produkte kaufst oder konsumierst, bist du am Leiden und Sterben dieser Tiere schuld.