Empathie und Ethik
Helmut F. Kaplan
Ursprünglich wollte ich nur eine kleine Geschichte von meiner verstorbenen Katze und mir erzählen. Dann fiel mir auf, daß diese Geschichte eigentlich keinerlei „Botschaft“ oder Nutzanwendung in Richtung Tierrechte enthält – wodurch eine Veröffentlichung vielleicht eher unpassend oder „übertrieben“ erscheinen könnte. Dann entdeckte ich aber doch einen allgemeingültigen Aspekt:
Solche engen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren sind ja alles andere als selten. Mehr noch: Wir finden sie sogar häufig bei ausgesprochenen Speziesisten, die trotz ihres Speziesismus eine besonders innige Beziehung zu ihrem Lieblingstier haben. Spontan fallen mir Freßpapst Siebeck ein, der ein enges Verhältnis zu seiner Katze hatte, und Stierkampffan Picasso, der seinen Hund Lumpi über alles liebte.
Hätten diese und andere Parade-Speziesisten ein Mal ernsthaft über ihre Beziehung zu ihren tierlichen Freunden nachgedacht – sie wären zu Tierrechtlern geworden. Denn es wäre ihnen klar geworden, daß es höchst unvernünftig und inkonsequent ist, EIN Tier zu hätscheln, während man andere, die genauso sensibel sind und die einem ebenfalls „überhaupt nichts getan haben“, aufißt oder zusieht, wie sie zutodegequält werden.
Bei Siebeck, Picasso und den meisten anderen Menschen, die eine enge Beziehung zu einem Tier hatten oder haben, hat dieser Erkenntnisprozeß leider nicht stattgefunden. Schließlich müßte zweierlei zusammenkommen: eine empathische Beziehung und eine ethische Erkenntnis bzw. Schlußfolgerung. Aber das erste Element war bzw. ist immerhin vorhanden, woraus zumindest die Chance für einen Erkenntnisprozeß in Richtung Tierrechte resultiert.
Womit wir bei der „Botschaft“ im Zusammenhang mit engen Mensch-Tier-Beziehungen sind: Fördern wir diese, wo wir nur können, denn sie enthalten zumindest die Chance auf einen Entwicklungsprozeß in Richtung Tierrechte!
Freundschaft
Voriges Jahr ist mein Kater Mecky gestorben. Ich mußte gerade wieder an ihn denken, als ich eine Katze durchs hohe Gras streunen sah. Mecky war eine „Wohnungskatze“, deshalb habe ich ihm täglich frisches Gras gebracht, worüber er sich immer sehr freute. Ich bedauere sehr, daß er nie dieses Naturerlebnis hatte.
Das bedauerte ich immer. Eines meiner intensivsten Erlebnisse mit ihm war, als er sich, bereits schwer krank, mit Mühe auf die Fensterbank in meinem Arbeitszimmer setzte und den schönen Sommertag samt Vogelgezwitscher förmlich in sich aufsog, quasi noch einmal die Welt, das Leben, die Natur einatmete. Dieser Anblick, dieses Miterleben, dieses Mitfühlen ging mir sehr nahe.
Wie durch ein Wunder hat sich Mecky dann noch einmal erholt und wir durften noch viele schöne gemeinsame Stunden in meinem Arbeitszimmer erleben. So gut wie mit ihm habe ich mich mit kaum einem Menschen verstanden. Er wird ewig in meinem Herzen sein und er ist auch physisch bei mir – wenn nun auch in einem anderen materiellen Zustand: Seine Urne steht hier.
Ich wende mich nun Aufzeichnungen zu, die ich während seiner Einäscherung auf mein Diktaphon gesprochen und bis jetzt liegen gelassen hatte:
Abschied
Ich bin auf dem Weg zu Meckys Einäscherung. Genauer gesagt: Auf dem Weg zu einem Ort, an dem ich zum Zeitpunkt seiner Einäscherung in München in Richtung München blicken und an ihn denken werde. So grauenvoll der Gedanke – was heißt der Gedanke, das WISSEN, ist, daß es Mecky nicht mehr gibt, und so schrecklich die existentielle Leere, das Seins-Loch, das sein Tod aufgerissen hat, ist: Ihm tut nichts mehr weh, er leidet nicht mehr. Dies war auch der einzige tröstende Gedanke, der mir nach seinem Tod in den Sinn kam: Ein Leidender weniger.
Ich gehe auf die sogenannte Richterhöhe. Dort befindet sich nämlich eine Windrose, auf der Städte, Seen und Berge eingezeichnet sind. Ich blicke also in Richtung München, wo Mecky gerade verbrannt wird. Ein großer Kamin, aus dem Rauch aufsteigt, gerät in mein Blickfeld – so wie an dem Ort, an dem Mecky jetzt ist, denke ich. In meiner unmittelbaren Umgebung: ein schloßartiges Haus. Mein Lebenstraum: Hier mit Mecky leben und arbeiten. Und da drüben das Haus, in dem Peter Handke eine Zeit lang wohnte. „Chinese des Schmerzes“ fällt mir ein. Ich habe keine Ahnung, worum es in diesem Buch geht, aber dieser Titel kommt mir sofort in den Sinn. Zuhause sehe ich dann bei meinen Büchern nach, ich hatte doch ein Handke-Buch, das meiner Tochter gehört. Da ist es auch schon – „Der Chinese des Schmerzes“. Umschlagbild: „Die Richterhöhe auf dem Mönchsberg.“