Kinder der Erde

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Kinder der Erde

Helmut F. Kaplan

Begründungen für moralisches Handeln können eher rational-konkret oder eher emotional-abstrakt sein. Zum Beispiel: Wir sollen Tiere gut behandeln, weil sie uns in bezug auf bestimmte moralisch relevante Eigenschaften ähnlich sind. Oder: Wir sollen Tiere gut behandeln, weil alles Leben heilig ist.

Der Grund, warum unterschiedliche Menschen durch unterschiedliche Arten von Begründungen angesprochen werden, ist trivial: Es gibt eben eher rational und eher emotional orientierte Menschen. Und genau deshalb sollte es auch auf beiden Ebenen plausible Begründungen dafür geben, Tiere gut zu behandeln.

Ich habe mich immer darauf konzentriert, rational zu argumentieren. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind nichtrationale Begründungen stets mit einem Glauben im weitesten Sinne verknüpft und daher in ihrer Wirksamkeit auf diejenigen beschränkt, die diesen Glauben teilen. Zum Beispiel: Wer den Vegetarismus mit der Seelenwanderung zu begründen versucht (also damit, daß wir beim Essen von Tieren Gefahr laufen, verstorbene Verwandte zu essen), der kann damit von vornherein nur diejenigen überzeugen, die an die Seelenwanderung glauben.

Zweitens stößt man mit nichtrationalen Begründungen rasch auf rationale Hindernisse. Etwa mit der bereits erwähnten Formel, wonach alles Leben heilig sei: Was ist dann zum Beispiel mit Pflanzen, die dann ja auch heilig sind, die wir aber trotzdem essen müssen, wenn wir nicht verhungern wollen?

Dennoch, wie gesagt: Es sollte auch emotional einleuchtende Gründe für einen anständigen Umgang mit Tieren geben. Um solche zu finden, empfiehlt es sich, sich entsprechende Begründungen in bezug auf den Umgang mit Menschen anzusehen.

Der russische Präsident Boris Jelzin sagte nach der Niederschlagung des Putsches vom Oktober 1993: „Die Ereignisse … sind unser aller Tragödie, unser aller Blut. Welche politische Überzeugung auch jeder einzelne von uns hat – wir alle sind Kinder Rußlands.“ Und ein englischer Geistlicher sagte im Zusammenhang mit der Stellung von Homosexuellen in der Kirche: „Wir alle sind Kinder Gottes.“

Die Probleme, die sich bei der Nutzbarmachung dieser Aussagen für einen anständigen Umgang mit Tieren ergeben, liegen auf der Hand: Tiere leben nicht nur in einem Land, sondern auf der ganzen Erde. Und für alle religiösen Aussagen gilt, was wir bereits oben erkannten: ihre Wirksamkeit bzw. Anwendbarkeit ist auf diejenigen beschränkt, die den entsprechenden Glauben teilen. Hinzu kommt, daß sich Judentum, Christentum und Islam durch unsinnige und unverantwortliche Aussagen über Tiere von vornherein für eine schlüssige moralische Integration der Tiere disqualifiziert haben.

Als Möglichkeit einer umfassenden und überzeugenden Begründung für einen moralischen Umgang mit Tieren bietet sich aber an: Wir alle, Menschen und Tiere, sind Kinder der Erde und wollen glücklich sein. Für den, der moralisch handeln will, kann es keine Rechtfertigung dafür geben, das, wonach er selber mit aller Macht strebt, anderen leichtfertig vorzuenthalten.