Mit Gefühl und Verstand für Tierrechte
Helmut F. Kaplan
Editorische Vorbemerkung: Den folgenden alten Text könnte und würde ich heute aus mehreren Gründen nicht mehr so schreiben. Aussagen und Inhalt finde ich aber nach wie vor gültig. HFK, März 2018
Kürzlich las ich einen Bericht über die Krise, in die der beste Schachcomputer den besten Schachspieler gestürzt hatte: Die Maschine hatte den Menschen besiegt, weil sie über unschätzbare Vorteile verfügt: sie wird nicht müde, hat keine Gefühle und kennt keinen Streß.
Davon können wir Tierrechtlerinnen und Tierrechtler lernen: Wenn wir unsere Arbeit emotionslos wie Computer erledigen würden, wären wir auch viel erfolgreicher! Ich muß oft an die vielen Menschen denken, die sich seit Jahren für Tiere engagieren, aber mittlerweile derart ausgebrannt und ausgelaugt sind, daß sie kaum mehr Nennenswertes leisten können. Hätten sie wie Maschinen gearbeitet, ginge es ihnen viel besser und sie könnten weiterhin mit voller Kraft Gutes für die Tiere tun. So aber sind sie lebende Leichen und abschreckende Beispiele.
„Arbeiten wie eine Maschine“ soll unter anderem heißen: sich nicht von kindischen Eifersüchteleien anderer anstecken lassen und seine Arbeit erledigen, ohne sich über deren Erfolg den Kopf zu zerbrechen.
„Arbeiten wie eine Maschine“ bedeutet aber auch, nicht in müdem, völlig erschöpftem Zustand zu arbeiten. Und das heißt: viel Schlaf, viel Ruhe, viel Erholung – und: gut zu sich selber sein. (Darauf zu vertrauen, daß andere gut zu einem sind, ist meiner Erfahrung nach nicht besonders klug!) Das heroische „Arbeiten bis zum Umfallen“ ist nur sinnvoll, wenn man weiß, daß man am nächsten Tag tot ist. Als dauernde Arbeitshaltung ist es purer Schwachsinn.
Grober Unfug ist es auch, sich vor dem Schlafengehen noch grauenhafte Sendungen und Berichte über diverse Tiermassaker „reinzuziehen“. Das nützt niemandem, am wenigsten den Tieren.
Und noch etwas: Da wir nun einmal leider müde werden und daher viel Zeit zum „Auftanken“ brauchen, sollten wir mit unserer Zeit höchst sorgsam umgehen. Das heißt vor allem auch, sich vor den überall lauernden Zeitdieben in acht zu nehmen: Menschen, die ohne etwas zu sagen, stundenlang reden und einem so wertvolle Stunden stehlen. Es ist nicht Höflichkeit, sondern Dummheit und letztlich – gegenüber den Tieren – Rücksichtslosigkeit, sich auf diese Weise die Zeit rauben zu lassen. (Etwas anderes ist es freilich, Menschen durch Zuhören und Reden neuen Lebens- und Arbeitsmut zu geben.)
Heißt das nun, daß wir wie Roboter leben und keine Gefühle haben sollen? Ganz im Gegenteil: Gefühle sind sehr wichtig, aber wir sollten sie soweit als möglich rational steuern, um ihre Vorteile zu nutzen, ohne ihre Nachteile zu erleiden. Es kommt schlicht darauf an, wann und wo wir Gefühle haben. Bei einem drohenden Flugzeugabsturz empfiehlt es sich, daß der Pilot einen kühlen Kopf bewahrt. Beim kreativen Prozeß künstlerischen Schaffens sind Gefühle unverzichtbar.
Und was heißt das für die Tierrechtsarbeit? Bei der Arbeit sind Gefühle in der Regel wenig hilfreich, wenn nicht gar schädlich. Zur Motivation für die Arbeit sind Gefühle aber absolut notwendig: Kein Mensch könnte oder würde sich erfolgreich für andere einsetzen, wenn er nicht durch starke Gefühle dazu gedrängt oder gezwungen würde. Zur Veranschaulichung unserer Ziele, zur Stärkung unseres Willens und Mobilisierung unserer Kräfte sind Gefühle unabdingbar.
Und dazu gehört auch Haß. Haß ist nicht das Gegenteil von Liebe – das ist Gleichgültigkeit -, sondern Haß und Liebe sind zwei Erscheinungsformen eines Gefühles. Das gilt nicht nur für persönliche Beziehungen, sondern auch für die karitative, soziale und politische Arbeit. Wer Menschen und Tiere liebt, haßt diejenigen, die Menschen und Tiere unterdrücken, foltern und ermorden.
Es mag erstrebenswert sein, Opfern zu helfen, ohne ihre Peiniger zu hassen. Aber um dieses Ideal zu erreichen, muß man wahrscheinlich ein Stadium des Hassens durchmachen. Und: Menschen, die gegenüber den Peinigern von Menschen und Tieren gleichgültig sind, sind in aller Regel nicht besonders edelmütig, sondern schlicht charakterlos.