Sie lieben die Tiere ja mehr als die Menschen!
Helmut F. Kaplan
Großzügigerweise ist man ja bereit, „Tierfreunden“ so einiges an „Verrücktheiten“ nachzusehen – eben WEIL sie „Tierfreunde“ und damit zumindest leicht verrückt sind: daß sie zuviel Zeit für Tiere verwenden, daß sie Tiere zu sehr lieben („Hundenarr“, Katzennarr“ usw.) und vieles andere mehr. Bei einem Vorwurf findet jegliches Verständnis allerdings ein jähes Ende: „Sie lieben die Tiere ja mehr als die Menschen!“ Ist man dieses Kapitalverbrechens erst einmal verdächtigt, hat man augenblicklich jeglichen Kredit und alle Sympathien verspielt! Warum eigentlich?
1) Wer mit Selbstverständlichkeit davon ausgeht, daß man Menschen mehr wertschätzen müsse als Tiere, beantwortet voreilig eine Frage, die vernünftigerweise erst einmal gestellt und diskutiert werden müßte: WARUM sollen Menschen auf alle Fälle wertvoller sein?
2) Die Forderung an Menschen, Menschen mehr zu lieben als Tiere, kann auch als Aufforderung zu einer ausgesprochenen Untugend gesehen werden: als Aufforderung zur Parteilichkeit. Zur Parteilichkeit für die uns Näherstehenden bzw. zur negativen Voreingenommenheit gegenüber „Fremden“. Das ist im Grunde ein klassischer ANTI-Ethik-Ansatz – geht es doch in der Ethik nicht zuletzt gerade darum, Parteilichkeiten in Frage zu stellen und zu überwinden.
3) Es spricht viel dafür, daß viele Tiere vielen Menschen moralisch überlegen, zumindest nicht moralisch unterlegen sind: Die bloße menschliche Moralfähigkeit, also die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und zu entscheiden, ist ja noch kein Verdienst. Verdient macht sich jemand erst, wenn er diese Fähigkeit auch positiv NÜTZT, sprich: sich tatsächlich für das Gute entscheidet. Andererseits erzeugt erst die Moralfähigkeit die Gefahr, moralisch zu scheitern, sprich: sich für das Böse zu entscheiden. Moralfähigkeit bedeutet also keineswegs automatisch moralische Höherwertigkeit, beinhaltet aber die Gefahr, moralisch minderwertig zu werden – minderwertig im Vergleich zu jenen, die von vornherein nicht moralfähig sind. (Ob und in welchem Maße bestimmte Tiere moralfähig sind, wollen wir in diesem Rahmen nicht diskutieren.)
4) Wer nicht Augen, Ohren, Hirn und Herz davor verschließt, wie fürchterlich Menschen Tiere behandeln, der MUß die Tiere mehr lieben als die Menschen, die diese unschuldigen Tiere tyrannisieren, quälen und umbringen!