Sind Fleischesser Mörder?
Helmut F. Kaplan
Wer die Bezeichnung Mörder für Fleischesser als etwas Außergewöhnliches oder Ungeheuerliches ansieht oder kritisiert, beweist damit nur seine eigene Naivität und Dummheit. Natürlich bedeutet Fleischessen Mord: vorsätzliches Töten aus niedrigem Beweggrund. Der niedrige Beweggrund ergibt sich zwangsläufig aus der exorbitanten Unverhältnismäßigkeit zwischen dem angestrebten Gaumenkitzel und dem, was wir bereit sind, Tieren dafür anzutun. Deshalb haben Ovid, Plutarch, Leonardo da Vinci, Leo Tolstoi und viele andere Fleischesser schon vor langer, langer Zeit als Mörder bezeichnet!
Ich bin mit der Verwendung des Ausdrucks Mörder allerdings etwas sparsamer und vorsichtiger geworden. Schließlich will ich die Menschen ja nicht angreifen und ärgern, sondern aufklären und ändern. Und: So gut wie jeder, der heute Veganer ist, war früher selbst einmal ein Fleischesser.
Wenn allerdings jemand glaubt, von sich aus den Ausdruck Mörder in diesem Zusammenhang als sprachliche Manipulation oder als sprachlichen Terrorismus brandmarken zu müssen, dann muß dies mit aller Entschiedenheit und in aller Schärfe zurückgewiesen und der Vorwurf zurückgegeben werden. Wir haben es hier nämlich mit einem grundlegenden und generellen Phänomen zu tun, dessen Bedeutung und Tragweite überhaupt nicht überschätzt werden können. Ich nenne einige Beispiele:
•Die sachlich durch nichts zu rechtfertigenden Verharmlosungen in der Jägersprache (zum Beispiel „Schweiß“ für Blut).
•Die sachlich durch nichts zu rechtfertigenden Verharmlosungen in der Sprache der Tierexperimentatoren (zum Beispiel „Tiermodelle“ – wie „Automodelle“).
•Die sachlich durch nichts zu rechtfertigende allgemeine Abwertung von Tieren dadurch, daß wir für Essen, Trinken, Schwangersein, Gebären, Sterben und den Leichnam bei Tieren ganz eigene Worte haben. Schopenhauer spricht in diesem Zusammenhang zu Recht und treffend von der Diversität der Worte, die die Identität in der Sache verstecken soll.
All dies läuft auf exakt jenen Mechanismus hinaus, der auch allen Massakern und Kriegen unter Menschen zugrundeliegt: die Betäubung des Gewissens durch sprachliche Manipulation. Der physischen Vernichtung geht immer die sprachliche Abwertung voraus. Daran sollten die Kritiker der Bezeichnung Mörder für Fleischesser denken. Der gefährlichen sprachlichen Manipulation machen sich in Wirklichkeit jene schuldig, die Fleischesser nicht als Mörder bezeichnen!