Tierrechte und „kritische Masse“
Helmut F. Kaplan
Unter der für die „Salzburger Nachrichten“ typischen widerlichen Überschrift „Zähes Katzenleben“ war zu lesen:
„Drei Wochen überstand ein Kater eingeschlossen in einem Lastwagen die Fahrt von Polen nach England. Der grau-weiße Jungkater überlebte vermutlich durch Kondenswasser. Erst als der Lastwagen in einer Möbelfirma geöffnet wurde, sprang das abgemagerte Tier heraus. Doch nun drohte ihm der Tod durch die Tierarztspritze, denn nach britischem Gesetz darf das Tier erst nach einem halben Jahr Quarantäne – und das kostet 1100 Pfund … – ins Land. Die Möbelarbeiter brachten das Geld auf und einer adoptierte ‚Roly Poly‘.“
Eine ermutigende Geschichte – welche Seltenheit! Freilich hätte auch diese Geschichte völlig anders ausgehen können, etwa so: Als die Männer die Katze entdecken, brechen sie in schadenfrohes Gelächter aus, hetzen das erschöpfte Tier von einem Versteck zum anderen, um es schließlich in einem Akt kollektiven Gewaltrausches zu erschlagen.
Aber immerhin: In diesem Fall ist die Sache nicht so ausgegangen. Und das ist wichtig. Denn es zeigt: Auch solche Reaktionen sind möglich. Vielleicht wäre ja auch diese Geschichte fast schlecht ausgegangen. Vielleicht stand das Verhalten der Beteiligten „auf der Kippe“. Vielleicht hat einer der Arbeiter eher zufällig als erstes eine mitfühlende Bemerkung gemacht und damit die anderen quasi „mitgezogen“. Hätte ein anderer zuerst eine andere, sadistische Bemerkung gemacht, hätte die Geschichte vielleicht den oben geschilderten Verlauf genommen.
Dennoch macht diese Begebenheit Hoffnung. Denn einen Bruchteil der Menschen dazu zu bringen, sich moralisch zu verhalten – es genügte möglicherweise ein einziger Arbeiter, um den Handlungsverlauf positiv zu beeinflussen –, ist für die Tierrechtsbewegung natürlich ein viel realistischeres Ziel, als die Mehrheit oder gar „alle“ Menschen entsprechend zu erziehen.
Wichtigste Voraussetzung für eine wirkliche Verbesserung des Schicksals der Tiere bleiben freilich einschlägige Gesetzesänderungen. Aber auch hierfür reicht oft eine „kritische Masse“ von Menschen, eine „qualifizierte Minderheit“ im besten Sinne des Wortes. Schließlich existieren ja auch viele notwendige Gesetze in bezug auf Menschen – etwa über Minderheitenschutz –, denen die Mehrheit nicht zustimmen würde.