Verehrt und verteufelt

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Verehrt und verteufelt

Zur Irrationalität der Mensch-Tier-Beziehung

Helmut F. Kaplan

Unser heutiger Umgang mit Tieren ist widersprüchlich und irrational: mal hätscheln wir sie, weil sie „süß“ sind, mal verfolgen wir sie, weil sie „böse“ sind, und mal foltern wir sie, weil das „nützlich“ ist. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt freilich, daß unsere irrationale Einstellung gegenüber Tieren alles andere als neu ist. In seinem Buch Mensch und Tier beschreibt Juri Dmitrijew zahlreiche unvernünftige Haltungen und Praktiken gegenüber Tieren:

Unter den vielen Tieren, die im alten Ägypten als heilig galten, nahm das Krokodil eine Sonderstellung ein. Das kam so: Jedes Jahr erwarteten die Menschen ungeduldig das Hochwasser des Nils. Denn vom Schlamm, den die Überschwemmungen zurückließen, hing die Ernte ab. Viel Schlamm bedeutete eine reiche Ernte.

Mit dem Hochwasser kamen regelmäßig auch viele Krokodile. Die Menschen glaubten nun aber nicht, daß das Hochwasser die Krokodile brachte, sondern umgekehrt, daß die Krokodile das Hochwasser brachten. Deshalb verehrten sie diese Tiere.

In den Marmorbecken der Parks rund um die Gotteshäuser wurden „heilige Krokodile“ angesiedelt. Ihre Pfoten schmückte man mit goldenen Ringen und Armbändern und auf ihren Köpfen trugen sie wertvolle Edelsteine. Die Speisen wurden den Tieren auf silbernen Platten gereicht. Und einmal jährlich fand in Kairo das „Fest des Nils“ statt, in dessen Verlauf den Krokodilen ein besonders schönes Mädchen geopfert wurde.

Die Griechen und Römer glaubten, daß einige ihrer als heilig verehrten Tiere die Fähigkeit besäßen, die Zukunft vorauszusagen. Diese Tiere wurden in besonderen Tempeln gehalten und auf Feldzüge mitgenommen. In Rom waren es vor allem die Hühner, die man als Wesen mit prophetischen Gaben verehrte.

Das Verhalten dieser Tiere wurde als Zeichen für künftiges Geschehen gedeutet. Besonders achtete man dabei auf den Appetit der Hühner bei Sonnenuntergang: fraßen sie viel, war es ein gutes Zeichen, hatten sie aber wenig Appetit, stand Unheil bevor. Nicht selten wurden wichtige Schlachten verschoben, weil die Hühner wenig gefressen hatten.

So sehr die Menschen unterschiedlicher Kulturen manche Tiere auch verehrten und vewöhnten – von Dauer war diese Wertschätzung keineswegs immer. Ein drastisches Beispiel hierfür liefert der Umgang mit Katzen.

In Ägypten galten Katzen als besonders heilig. Sie scharten sogar fast mehr Gläubige, die sie verehrten, um sich als alle anderen heiligen Tiere zusammen. Auf die Tötung einer Katze stand, selbst wenn sie unbeabsichtigt erfolgte, die Todesstrafe. Nicht selten wurden die Schuldigen von der Bevölkerung gelyncht.

Verstorbene Katzen wurden einbalsamiert und in Kistchen bestattet. Diese waren häufig aus Gold oder Silber gefertigt und reich mit Edelsteinen verziert. Beigesetzt wurden die Tiere auf besonderen Friedhöfen. Im Jahre 1860 wurde in Ägypten ein Katzenfriedhof entdeckt, auf dem nicht weniger als 180.000 Tiere ihre letzte Ruhe gefunden hatten. In Südeuropa konnten sich Katzen einer ähnlichen Wertschätzung erfreuen. So wurden sie etwa von den Griechen und Römern als Symbol der Freiheitsliebe verehrt.

Aber im Mittelalter wurden Katzen plötzlich verfolgt: Im Bestreben der allmächtigen Kirche, alles aus dem Orient Stammende zu vernichten, wurden Katzen zu einem der ersten Opfer kirchlicher Säuberungspolitik. In dem Maße, in dem sie früher verehrt worden waren, wurden sie jetzt verfolgt – als Ausgeburt der Hölle und Helfer des Teufels.

Besonders gewütet hat man gegen Katzen im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen. Das hatte zwei Gründe. Erstens glaubte man, daß sich Hexen zeitweise in Katzen verwandelten, zweitens verdächtigte man Hexen, über Katzen in Verbindung mit dem Teufel zu stehen. Folgerichtig wurden Katzen oft gemeinsam mit den Hexen gefoltert und verbrannt. In vielen Ländern Europas war es außerdem üblich, an bestimmten Tagen „Treibjagden auf Hexen“ zu machen, sprich: Katzen zu fangen und zu töten. In Holland gab es sogar einen „Katzenmittwoch“, an dem Katzen massenweise umgebracht wurden.

Im Mittelalter waren auch Tierprozesse an der Tagesordnung. Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden in vielen Ländern Europas zahllose Tiere wegen diverser „Verbrechen“ verfolgt und verurteilt. Man unterschied zwischen „Zivil- und Strafsachen“. Erstere verliefen recht human.

So gewann etwa 1480 in Frankreich ein Advokat einen Prozeß, indem er vor Gericht ausführte, warum seine Mandanten, zahlreiche Mäuse und Ratten, nicht vor Gericht erscheinen könnten: ihre Wohnorte seien so weit voneinander entfernt und ihre Höhlen so tief, daß sie nicht hören könnten, wenn sie vor Gericht geladen werden.

Also beschloß das Gericht, in allen Dörfern die Vorladung der Tiere zu verlautbaren. Leider nutzte auch das nichts. Der Anwalt erläuterte, warum: Auf ihrem langen Weg zum Gericht würden den Mäusen und Ratten auf Schritt und Tritt Katzen, Füchse und Eulen auflauern. Darüber hinaus erklärte er, daß es ohnehin nicht angehe, die Tiere wahllos und kollektiv anzuklagen, sondern daß es vielmehr darauf ankomme, die individuelle Schuld der einzelnen Tiere nachzuweisen. Da dies nicht möglich war, wurde das Verfahren schließlich eingestellt.

Bei „Strafsachen“ wurde eine wesentlich härtere Gangart eingeschlagen. Hier landeten die meisten Angeklagten auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen. Vom 12. bis zum 17. Jahrhundert wurden allein in Frankreich etwa 100 Todesurteile gegen Tiere ausgesprochen. Aber auch in Italien, Deutschland, England, Holland, Schweden und in der Schweiz wurde über Tiere zu Gericht gesessen. Einige Beispiele: Im 13. Jahrhundert wurde ein Schwein zum Tod durch den Strang verurteilt, weil es seinen Wurf aufgefressen hatte. Im 14. Jahrhundert endete ein Stier am Galgen, weil er einen Menschen angefallen hatte. Und im 18. Jahrhundert wurde ein Stier lebendig begraben, weil er angeblich eine Seuche verschuldet hatte.

Tiere konnten aber nicht nur als Angeklagte vor Gericht geladen werden, sondern auch als Zeugen. Wenn etwa ein Mensch überfallen worden war und niemand außer einer Katze dies beobachtet hatte, so mußte diese als Zeuge „aussagen“. Das konnte freilich auch gefährlich werden. Wenn nämlich das Gericht befand, daß der Zeuge nicht laut um Hilfe geschrieen habe, wurde häufig über ihn die Todesstrafe verhängt. Vor der Hinrichtung wurden die Zeugen oft noch grausam gefoltert. Die Schreie galten als Geständnis.

Die Geistlichen im Mittelalter widmeten den Tieren große Aufmerksamkeit, indem sie lange „wissenschaftliche Dispute“ über sie führten. Einig wurden sie sich dabei allerdings nicht. Einige glaubten, daß Tiere als Geschöpfe Gottes eine unsterbliche Seele hätten. Andere bedauerten sie, weil ihnen kein ewiges Leben beschieden sei. Und wieder andere waren davon überzeugt, daß alle Tiere vom Teufel besessen seien.

Unser Umgang mit Tieren war also, wie diese historischen Beispiele zeigen, immer höchst willkürlich und irrational. Anstatt Tiere als biologische Wesen mit bestimmten physischen und psychischen Eigenschaften zu erkennen, wurden sie oft als Heilige verehrt oder zu Teufeln erklärt. Und anstatt die üblichen ethischen Prinzipien auch auf Tiere anzuwenden, wurden für Tiere immer wieder moralische „Sondergesetze“ erlassen: Regeln, die wir im Umgang mit Menschen nicht oder wenigstens nicht mehr akzeptieren – etwa das „Recht des Stärkeren“.

Die Tierrechtsbewegung verwirklicht erstmals in der Geschichte, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: daß wir Tiere als verwandte Wesen betrachten und gemäß jenen moralischen Regeln behandeln, die wir auch im Umgang mit Menschen für richtig halten.

Wer meine Tierrechtsarbeit unterstützen will: https://www.paypal.me/helmutkaplan

Zur Person: https://tierrechte-kaplan.de/biografie/