Endsieg der Ethik
Helmut F. Kaplan
Was ist eigentlich das Erstaunlichste an unserem skandalösen Umgang mit Tieren? Schwierige Frage bei all den himmelschreienden Widersprüchen und obszönen Gemeinheiten! Vielleicht aber dies:
Erstens existieren zwei Parallelwelten: Einerseits unsere („westliche“) Welt der Menschen, in der es heute, historisch betrachtet, extrem ruhig und zivilisiert zugeht. Andererseits die Höllenwelt der Tiere in Schlachthöfen, Versuchslabors usw.
Und zweitens wissen die Menschen über diese parallele Höllenwelt für Tiere genau Bescheid. Berichte und Bilder über sie finden sich schließlich täglich in der Zeitung.
Nun könnte man sagen: Gut, interessant, aber etwas Neues ist das nun eben nicht. Denn zu unserer vergleichsweise paradiesischen „westlichen“ Menschenwelt gibt es ja nicht nur eine parallele Höllenwelt für Tiere, sondern auch eine parallele Höllenwelt für Menschen: zum Beispiel in Afrika und Asien, auch hier passieren tagtäglich schreckliche Dinge und auch dies ist uns wohl bekannt.
Einen entscheidenden Unterschied zwischen der parallelen Hölle für Menschen und der parallelen Hölle für Tiere gibt es aber schon: Die Schreckensorte der Menschen sind in aller Regel geographisch weiter entfernt und zweitens gibt es für uns kaum Verhaltensweisen, mit denen wir diesen gequälten Menschen direkt und sicher helfen könnten – weil die Wirkzusammenhänge vielschichtig und unsere Einflußmöglichkeiten vage sind.
Das ist bei den Schreckensorten der Tiere ganz anders, die sind mitten unter uns: Schlachthöfe und Versuchslabors befinden sich in unserer unmittelbaren Umgebung. Und der Zusammenhang zwischen unserem Verhalten und dem Schicksal dieser Tiere ist zumindest teilweise extrem direkt und einsichtig: Jedem Fleischesser muß etwa einleuchten, daß es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen den Tieren auf seinem Teller und den Tieren im Schlachthof!
Der Schluß liegt also nahe: Die Menschen, denen es gut geht, rühren vor allem deshalb keinen Finger für diejenigen, denen es schlecht geht, weil Ihnen deren Schicksal schlicht egal ist. Das deckt sich ja auch mit dem seinerzeitigen Verhalten der Bevölkerung gegenüber den Nazi-Opfern: Das Foltern und Morden fand in ihrer unmittelbaren Nähe statt, man wußte es oder ahnte es zumindest – und blieb untätig.
An dieser gräßlichen menschlichen Eigenschaft des Wegsehens um des eigenen Friedens und Vorteils willen hat sich also nichts geändert. Ein trauriger, nutzloser Befund? Traurig, ja, nutzlos, nein: So sind die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, wenn wir in der Welt etwas verändern wollen, nun einmal! Und diese Tatsache gilt es zu berücksichtigen bei der Wahl unserer Mittel. Wir werden also vernünftigerweise unser Augenmerk nicht vorrangig darauf legen, die Menschen mit Moral zu verändern – weil die meisten bei Lichte besehen keine haben.
Dennoch wäre es ein großer Irrtum zu glauben, Ethik wäre nicht wichtig. Denn auf einer anderen Ebene kommt ihr eine immense Bedeutung zu: beim Vorbereiten, Herbeiführen und Vollziehen weltanschaulicher Veränderungsprozesse. Hier spielen ethische Argumente eine zentrale Rolle – und bestimmen nach diesem Umweg dennoch das Verhalten der Menschen: zuerst als gesellschaftlicher und schließlich als gesetzlicher Druck. Das war bei der Gewalt gegenüber Frauen und Kindern so. Und das wird auch bei der Gewalt gegenüber Tieren so sein.