Obszöne Sachlichkeit
Helmut F. Kaplan
Ich möchte über ein Erlebnismuster berichten, von dem ich annehme, daß es auch anderen Tierrechts-Engagierten nicht unbekannt ist: Man liest einen Artikel oder verfolgt eine Sendung über ein interessantes Thema und identifiziert sich dabei automatisch bis zu einem gewissen Grad mit den agierenden oder dargestellten Personen. Urplötzlich kommt irgendeine tierfeindliche Passage oder Szene – und raubt einem jede Lust am Weiterlesen oder Weiterschauen. Ein Beispiel: In der „Zeit“ (vom 12. April 2006) lese ich in einem Artikel anläßlich des hundertsten Geburtstages von Samuel Beckett:
„Wirf einen Frosch in heißes Wasser, und er wird versuchen herauszuspringen. Wirf ihn in kaltes Wasser, und bringe das Wasser allmählich zum Kochen, und der Frosch wird sich sieden lassen. So geht ein berühmtes Experiment; Beckett zeigt, dass unser Schicksal dieses Experiment weiter inszeniert ….“
Es sind solche beiläufigen, „harmlosen“ Bemerkungen, die zu den größten Hindernissen auf dem Weg zur Bildung eines allgemeinen Tierrechtsbewußtseins gehören: Die ungeheuerlichsten Grausamkeiten gegenüber Tieren werden mit der größtmöglichen Selbstverständlichkeit dargestellt – als ginge es um das Anstreichen einer Wand oder das Addieren von Zahlen. Damit werden spektakuläre Verbrechen zu banalen Vorkommnissen erklärt, was auf eine sukzessive Gehirnwäsche in Richtung Desensibilisierung hinausläuft.
Im Vergleich dazu sind schadenfrohe, sadistische, ja selbst verherrlichende Darstellungen krimineller Akte gegenüber Tieren (Beispiel: Stierkampf) geradezu harmlos – weil sie bei Menschen, die nicht völlig verroht und verdorben sind, wenigstens ansatzweise Empörung oder Widerstand auslösen. Die beiläufigen, „sachlichen“ tierfeindlichen Bemerkungen führen hingegen zu einer systematischen Banalisierung des Ungeheuerlichen. Auf diese obszöne Sachlichkeit, die das Ergebnis jahrtausendelanger tierfeindlicher Indoktrination durch Unwissen, Aberglaube und Religion ist, muß immer wieder aufmerksam gemacht werden.