Über Ärzte, Arbeitsplätze und Tierrechte
Helmut F. Kaplan
Bei zwei Themen zappe ich sofort weg, weil ich die Engstirnigkeit und Naivität, mit der sie behandelt werden, nicht ertrage: die Gefahr einer „Ärzteschwemme“ und das Problem „zu teurer Arbeitsplätze“. Solange Chirurgen regelmäßig Marathondienste versehen, nach denen sie so übermüdet sind, daß sie nicht mehr Auto fahren dürften, vermag ich die Gefahr einer „Ärztschwemme“ beim besten Willen nicht erkennen.
Und daß man Arbeit, anstatt froh zu sein, daß sie erledigt wird, künstlich schaffen will, ist mir auch schleierhaft. Schließlich kann man den gesamten Zivilisationsprozeß als Bemühung beschreiben, Arbeit zu erleichtern, zu verringern und abzuschaffen bzw. an Maschinen zu delegieren! Aber anstatt in Jubel darüber auszubrechen, daß uns dies erstmals in der Geschichte in nennenswertem Maße gelungen ist, wollen wir aberwitzigerweise Arbeit wieder künstlich schaffen – und beschweren uns darüber, daß dieses abstruse Ziel so schwer zu erreichen ist.
Begreift denn wirklich gar niemand, daß das, was die Menschen vor allem brauchen, Lebensmittel im weitesten Sinne sind, ihren gerechten und genügenden Anteil an dem, was produziert wird. Die Verteilung dieser Güter nach wie vor an Arbeitsplätze knüpfen zu wollen, wo Arbeit notwendig immer weniger wird, zeugt von einem realitätsverleugnenden Starrsinn, der einen schaudern läßt.
Selbstverständlich gibt es in diesem Zusammenhang auch psychologische und soziale Probleme: Identität durch Arbeit, das Gefühl, gebraucht zu werden, das Eingebundensein in eine Gemeinschaft usw. Aber von einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Diskussion über das Thema Arbeit dürfte man doch wohl erwarten, daß die oben genannten prinzipiellen Tatsachen und Zusammenhänge wenigstens ERWÄHNT werden. Exakt dies ist aber bis jetzt praktisch überhaupt nicht der Fall. Erst ganz langsam, ganz leise und ganz vorsichtig werden solche Überlegungen in die Diskussion eingebracht.
Es ist wahrlich eine Seltenheit, daß Starrsinn und Realitätsverleugnung Anlaß zu Zuversicht und Hoffnung geben. Aber der offenkundige Irrwitz, der in der Diskussion um „zuwenige und zu teure Arbeitsplätze“ zu Tage tritt, ist ein solcher Lichtblick – und zwar im Hinblick auf die Realisierung der Ziele der Tierrechtsbewegung:
Wenn es beim Thema Arbeitsplätze dermaßen lange dauert, bis endlich ein paar Außenseiter zu begreifen beginnen, was eigentlich von Anfang an jedem hätte klar sein müssen – je größer der Fortschritt, desto weniger Arbeitsplätze -, dann gibt es auch Hoffnung, daß die Menschen endlich zu begreifen beginnen, wie steinzeitlich und unmoralisch unser Umgang mit Tieren ist.
Es lebe die Arbeitsplatzdiskussion, die uns den bornierten Blick des Menschen so drastisch veranschaulicht – und hoffen läßt, daß Aufklärung und Bewußtseinsbildung, wenn sie nur lange genug betrieben werden, vielleicht doch einmal Früchte tragen!