Die schönen Seiten des Lebens – Über Feinschmecker und andere Tierfreunde
Helmut F. Kaplan
Als „Feinschmecker“, sprich: Berufs(fr)esser ist Christoph Wagner (gestorben 2010) natürlich von Haus aus Tierfreund. Aber man merkt es auch seiner einfühlsamen Sprache an. Im „Magazin für die schönen Seiten des Lebens“ Gault Millau, 5, 1999, S. 28, schreibt er über Fasane:
„Was sich zwischen April und Juni paarte, hat mittlerweile äußerst wohlschmeckenden Nachwuchs. Große, bunte Hähne und etwas kleinere, überraschend farblose (aber im Fleisch viel zartere) Hennen, die alle erst wieder aufatmen können, wenn am 16. 1. erneut die Schonzeit beginnt. ( … ) In der Zwischenzeit steht das Fasanenvolk unter dem gnadenlosen Regiment der Köche.“
Christoph Wagner ist, wie schon gesagt, „Feinschmecker“. Man überlege einmal einen Moment, was das eigentlich bedeutet: Während andere sich, entsprechend ihrem Beruf, bemühen, irgendetwas Nützliches zu leisten oder vielleicht gar ein künstlerisches oder wissenschaftliches Werk zu schaffen, verbringt der „Feinschmecker“ sein Leben mit der Suche nach Dingen, die ihm schmecken.
Aber zurück zu „Feinschmecker“ Wagner. Richtig ins Herz geschlossen hat er auch Rehe (S. 82), insbesondere „Rehnüsschen“ – was auch immer das sein mag: „‚A point‘ hatte ich es bestellt, und genauso kam es auf den Teller. Es hatte einen kaminroten, saftigen Kern, aber man hatte ihm lange genug Zeit zum Rasten gegeben, sodass auch nicht das geringste Tröpfchen Blut aus den feinen Fasern trat.“ Freilich komme das „unvergleichliche Aroma“, wie Wagner doziert, nicht von ungefähr. Entscheidend sei vielmehr, daß das Filet perfekt gebraten ist: „sicherlich nicht fast roh, aber noch viel weniger trocken und ‚durch‘.“ Und jetzt wird´s richtig kritisch und politisch:
„‚Essen Sie´s nur mit viel Freude‘, sagte der Koch, den ich ob seiner Leistungen mit überschwänglichem Lob bedachte. ‚Es wird ohnedies eines von den letzten sein, die Sie kriegen.‘ – Ich reagierte einigermaßen irritiert. – ‚Wenn Brüssel seine Hygienevorschriften radikal durchzieht …, dann ist ein medium gebratenes Steak zur Zeit ein aussterbendes Gericht, von einem rosa gebratenen Lamm- oder Rehfilet gar nicht zu reden. ( … ) Ich komm aber gerne zu Ihnen nach Hause … und mach Ihnen Ihr Steak so blutig wie Sie wollen.'“
Na, da hat Feinfresser Wagner ja noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn er auf seine blutigen Lieblingsgerichte verzichten müßte! Aber da plagt den Esser vom Dienst schon die nächste Sorge: Es sei wohl nur mehr eine Frage der Zeit, bis „auch die guten alten Austern, die man schließlich zumeist nicht nur roh, sondern auch noch lebend verzehrt, auf dem Index landen“.
Nun räumt Oberesser Wagner ein, daß gewisse Speisen zuweilen lästige Vergiftungen nach sich ziehen, die schon auch mal tödlich enden können. Aber damit, mahnt der Mann, der Messer und Gabel wie Orden in die Kamera hält, könne und müsse man leben: „Schließlich werden ja auch Autos, Snowboards, Segelflieger und Reitpferde nicht verboten, obwohl es immer wieder Menschen gibt, die damit verunglücken.“
Solche Aussagen ringen einem direkt einen gewissen Respekt ab: Der Mann ißt nicht nur gern und, wie sein Äußeres verrät, viel, sondern auch noch unter Einsatz seines Lebens!
So schlimm die Sache mit den Brüsseler Bürokraten auch sein mag – es gibt auch Lichtblicke. Etwa den Verein zur Erhaltung gefährdeter Haustierrassen (VEGH). Obmann Othard Hack erläutert die Aufgabe des VEGH am Beispiel Rind (S. 30): Früher habe es in Österreich mindestens 30 Rinderrassen gegeben. Heute aber mache das sogenannte „Fleckvieh“, eine „Hochleistungs- und Doppelnutzungsrasse“, etwa 80 Prozent der Bestände aus. Diese Entwicklung sei aus mehreren Gründen „tragisch“. Unter anderem, weil man dadurch der Möglichkeit verlustig gehe, „das einzigartige Geschmackserlebnis eines Sulmtaler Brathendls mit Semmelfülle, einer Salami vom Mangaliza-Wollschwein oder eines Tafelspitzes vom Kärntner Blondvieh zu verkosten.“
Unter der bemerkenswerten Überschrift „Überlebenschancen schaffen“ werden die Erfolge des VEGH dargestellt: Sämtliche 20 gefährdete Haustierrassen, die der Verein „betreut“, konnten vom Aussterben bewahrt werden. „Betreuung“ heißt hier: Ausbeuten und Umbringen mit Konzept.
Denn mit Folklore hat der VEGH nichts am Hut. Das Überleben der Tiere in Streichelzoos oder Brauchtumsmuseen ist nicht sein Ziel: „Eine Haustierrasse hat keine Überlebenschance, wenn mit ihr nicht gearbeitet wird, wenn sie in der Nutztierhaltung nicht Fuß fassen kann.“ Also aufgepaßt, liebe gefährdete Tiere: Wenn es euch nicht gelingt, in einem System „Fuß zu fassen“, das euch umbringt, habt ihr keine Überlebensschance!
(Freß-)Szenenwechsel: Hanoi. Nicole Schmidt berichtet (S. 45 f.) über die schönen Seiten Vietnams:
„Das Leben spielt sich vorwiegend auf der Straße ab. Kleine Obststände, … improvisierte Garküchen …, ein Korb mit quakenden Fröschen …. Ein besonderes Erlebnis ist ein Besuch des Hom-Marktes, auf dem morgens quirlige Betriebsamkeit herrscht. ( … ) In einem Käfig flattern Hühner, daneben eine gespannte Leine, auf der frisch geschlachtete Enten zum Ausbluten aufgehängt sind. Ein paar Meter weiter brutzeln ihre Artgenosssen der Endbestimmung als knusprige Ente entgegen. Am Stand daneben locken gegrillte Spanferkel. Es sind bei genauerer Betrachtung allerdings keine Ferkel, sondern Hunde. Als Hundefreundin aus tiefstem Herzen schäme ich mich abgrundtief, weil die Dinger trotzdem sehr lecker aussehen. ( … ) Als Nichtfreundin von Python & Co koste ich dafür die verschiedensten Schlangengerichte.“
Irgendwie logisch: Wer nicht mein Freund ist, den bringe ich um und esse ich auf. Besonderen Eindruck auf unsere sensible Reporterin Schmidt macht offenkundig Restaurantbesitzer M. Quoc Trieu: Nachdem er ihr stolz seine Schlangenbisse gezeigt hat, fischt er eine Kobra aus dem Käfig, um „sie blitzschnell der Länge nach“ aufzuschlitzen und zu häuten. Donnerwetter, da gibt´s noch echte Naturburschen, bei den Vietnamesen!
Und bereits wenige Minuten nach dem obercoolen Aufschlitzen steht das komplette Schlangenmenü fix und fertig auf dem Tisch: knusprige Schlangenhaut, würziges Schlangenskeletthaschee, usw. – einfach unwiderstehlich: „Ein Gericht schmeckt köstlicher als das andere. Nur den Aperitif, Schnaps mit frischem Schlangenblut …, verschmähe ich.“ Wenn das Blutfreak Wagner wüßte!